Nachlese Kandidatenturnier

Quelle: FAZ online

Ein Fabi und sieben Fragen

28. März 2018 von Stefan Löffler

Vier Spieler konnten das Kandidatenturnier vor der letzten Runde noch gewinnen. Alle ihre Partien gingen bis über die erste Zeitkontrolle nach vierzig Zügen. Am Ende aber gewann nur einer von ihnen, nämlich Fabiano Caruana, der bereits in Führung gelegen hatte.

Sergei Karjakin und Ding Liren trennten sich voneinander remis, Schachrijar Mamedscharow holte das gleiche Resultat gegen Wladimir Kramnik. Wurden vor der letzten Runde noch alle möglichen Szenarien beleuchtet, wer bei Punktgleichheit zwischen welchen Spielern die Nase vorne hätte, gibt es am Ende also einen klaren Sieger: 1. Caruana 9; 2.-3. Karjakin, Mamedscharow je 8; 4. Ding 7,5; 5.-6. Grischtschuk, Kramnik je 6,5; 7. So 6; 8. Aronjan 4,5. Damit darf sich Caruana auf ein mit mindestens einer Million Euro Preisgeld dotiertes WM-Match gegen Magnus Carlsen, angekündigt ab 9. November in London, freuen. Aber hat er es auch verdient? Diese und sechs weitere Fragen und Antworten im Schnelldurchlauf

Ein Punkt Vorsprung klingt deutlich. War Caruna so viel besser als die anderen?

Die Kommentatoren und die anderen Turnierteilnehmer sagen ziemlich übereinstimmend, dass er den Sieg verdient hat. Fünf Siege, acht Remis und eine Niederlage sprechen eine deutliche Sprache. So deutlich hat noch keiner das Kandidatenturnier gewonnen, seit es als doppelrundiges Achterturnier ausgetragen wird. Caruana war der konsistenteste Spieler. Er hatte sich mit seinem Trainer Rustam Kasimdschanow gut vorbereitet, spielte abwechslungsreich, griff an, verteidigte, kämpfte und stellte seinen Gegnern jede Menge Probleme. Seine engsten Konkurrenten Karjakin und Mamedscharow zeigten vergleichsweise weniger bei ihren Siegen.

Wie verlief das Turnier für Caruana?

Los ging es für Fabi, wie ihn seine Kollegen nennen, schon mal mit einem fein herausgespielten Sieg gegen Wesley So. Dass er seine schwierig stehende Partie gegen Kramnik drehen konnte, war besonders wichtig. Als Aronjan in einer wilden Schlacht ein Dauerschachremis verpasste, nahm er auch diesen vollen Punkt mit. Als er mit einem halben Punkt Vorsprung führte, verkrampfte er, verpasste einen möglichen Sieg gegen Ding und musste wie schon 2016 in Moskau gegen Karjakin seine einzige Niederlage hinnehmen. Mental aber half ihm das. In die letzten beiden Partien gegen Aronjan und Grischtschuk (hier zum Nachspielen) ging er befreit und überspielte beide. Beruhigend wirkte auch, als er in der letzten Runde zwischendurch sah, dass Karjakin, der gegen Ding Liren immerhin Weiß hatte, nicht mehr gewinnen konnte.

Man sagt, das Kandidatenturnier hat einen Sieger und sieben Verlierer. Traf das auch diesmal zu?

Ding Liren durfte sich durchaus als kleiner Sieger fühlen. Der vierte Platz ist mehr als von ihm erwartet wurde. So gut wie niemand hatte Chinas ersten WM-Kandidaten als ernsthaften Anwärter auf den Sieg gesehen. Vor der letzten Runde gab es sogar ein Szenario, in dem er Carlsens Herausforderer würde (er musste Karjakin und Grischtschuk musste Caruana schlagen, und Mamedscharow gegen Kramnik remis spielen). Der 25jährige blieb als einziger ungeschlagen. Seinem Selbstbewusstsein hat das Turnier gut getan. Was er nächstes Mal anders machen würde? Sein Stil sei okay, meinte Ding, er habe ja Chancen bekommen, nur müsse er die halt besser nutzen.

Wie war denn insgesamt das Niveau der Partien?

Judit Polgar, die zwölf Runden fürs Publikum kommentierte, fand es sehr hoch. Garri Kasparow dagegen motzte, es sei nicht besser als die lausige Organisation gewesen. Wahrscheinlich meinte der Exweltmeister die recht vielen Patzer. Die sind bei einem so kräftezehrenden Wettbewerb aber nicht zu vermeiden. Der Kampfgeist und die Risikobereitschaft waren erfreulich hoch. Dirk Poldauf, als Redakteur und Reporter der Fachzeitschrift Schach seit über zwanzig Jahren ganz nah dran am Spitzenschach, kann sich an kein Turnier erinnern, das inhaltlich so viel geboten habe. Es gab jede Menge komplizierte Partien, neue Eröffnungsideen und originelle Stellungsbilder

Was wird vom Kandidatenturnier 2018 in Erinnerung bleiben?

Wenn wir gerade bei Kramnik sind: Er hatte sich nicht qualifiziert sondern verdankte die Teilnahme der Wildcard des Veranstalters. Wild waren auch seine Partien, es waren die interessantesten und kämpferischsten von allen Teilnehmern. Gegen Aronjan spielte Kramnik die beste Partie des Turniers. Dass Aronjan, der erfolgreichste Spieler der letzten zwölf Monate, dem so viele die Daumen gedrückt hatten, völlig unterging und nach sechs Niederlagen abgeschlagen Letzter wurde, wird nicht so schnell in Vergessenheit geraten. Das gilt auch für die ungewöhnliche Arena mit jeweils einem Brett in vier Sektoren und zwei Galerien, von denen die Zuschauer die Spieler von oben sehen konnten. Und natürlich für Caruanas großartiges Abschneiden.

Ist der nicht eigentlich Italiener?

Caruanas Eltern stammen aus Italien. Er hat dort nie gelebt und spricht auch nicht gut Italienisch. Aufgewachsen in Florida und Brooklyn zog die Familie nach Europa, als er zwölf war, um seine Schachlaufbahn zu fördern. In dieser Zeit wechselte er vom Amerikanischen zum Italienischen Verband, den er bis 2014 auch bei Schacholympiaden vertrat. Doch 2015 erklärte er seine Rückkehr und übersiedelte damals auch zurück von Madrid nach St. Louis. Dort ist der große Mäzen des amerikanischen Schachs Rex Sinquefield zuhause, der dafür sorgen will, dass nach Bobby Fischer ein zweiter Amerikaner Weltmeister wird.

Nun erholt sich Caruana wahrscheinlich erstmal von dem strapaziösen Turnier, oder?

Von Erholung keine Rede. Ab Samstag spielt er, wie übrigens auch Lewon Aronjan, in Karlsruhe beim Grenke Classic (der Schachblog wird berichten). Ausgerichtet wird es von ihrem Bundesligaverein OSG Baden-Baden (auch wenn beide diese Saison mit Rücksicht auf das Kandidatenturnier nicht zum Einsatz kamen). Dort erwarten Caruana und Aronjan nochmal neun Partien binnen zehn Tagen gegen überwiegend sehr ausgeruhte Gegner. Einer von ihnen heißt Magnus Carlsen.